Mensch-werden und Menschsein ist Geschichte und Entwicklung

6.06.2023

Herkunftszenario

Alle für unser Leben prägende Erfahrungen entspringen den Beziehungen, die wir in unserer frühen Kindheit erlebt haben. Die auf ein Kind einwirkenden Kräfte sind im Herkunftsszenario der Familiengeschichte eines Kindes/Menschen zu finden.

Wenn unsere Bedürfnisse als Kleinkind von einer liebevollen, fürsorglichen Bezugsperson erfüllt werden, dann fühlen wir uns geborgen und entwickeln Vertrauen in die Aussenwelt, in unseren Selbstkontakt. Unsere körperlichen und emotionalen Bedürfnisse sind wahrgenommen worden und unsere Beziehung zu einem anderen menschlichen Wesen dient uns als Bestätigung unseres Wertes.

Der Mensch ist ein soziales Wesen – Selbstregulierung und Empathieentwicklung:

Lydia Hantke und Hans-Joachim Görges beschreiben im Handbuch Traumakompetenz dass, wenn alle Systeme im Lot sind, wenn Grosshirnrinde und die anderen Bereiche gut zusammenarbeiten, auch die Körperspannung flexibel, schwingungsfähig, veränderlich, regulierbar ist.

Unser Körper besteht aus rhythmischen Prozessen wie dem Herzschlag, der zwischen siebzigmal beim Erwachsenen und hundertzwanzigmal beim Säugling pro Minute variiert.

Wir wissen, dass ein gutes Funktionieren unseres Körpers dann gegeben ist, wenn diese Rhythmen veränderlich bleiben und auf unterschiedliche Ereignisse und Einflüsse flexibel reagieren können.

Grundsätzlich sind alle Säugetiere von der Unterstützung durch Gruppenmitglieder abhängig. Je ausgeglichener und schwingungsfähiger unser Körper als ist, desto besser können die unterschiedlichen Regionen unseres Gehirns zusammenarbeiten. Wir brauchen als Säugling für einen flexiblen, breiten Ressourcenbereich, einer Grund- und Bedarfsspannung die Regulierung durch erwachsene Bezugspersonen. Wir lernen durch sie, wie wir unsere Körpersignale interpretieren und beantworten können. Wir erfahren die Art der Regulation durch das Erfühlen des Körpers, der uns trägt. Was uns entgegenkommt, daraufhin entwickeln wir unsere Fähigkeiten im Umgang mit unseren Bedürfnissen und Gefühlen. Wir brauchen verlässliche Zuwendung und Fürsorge der Menschen um uns herum.

Erfahrungen und Themen aus dem Herkunftsszenario beeinflussen unser Erleben und Verhalten heute. Wollen wir unser Verhalten heute verändern, kann eine Bewusstwerdungs- und Integrationsarbeit helfen einen selbstbestimmten und selbstregulierten Umgang damit zu entwickeln.

Die Differenzierte Sicht auf die eigene Herkunftsgeschichte ist nach der Methode der integrativen Körperpsychotherapie ibp, der erste Schritt für

• Verständnis
• Akzeptanz
• Verarbeitung
• Versöhnung

Die Auseinandersetzung mit dem Herkunftsszenario umfasst verschiedene Aspekte:

• Erkennen von transgenerationalen Themen, Ressourcen, Verletzungen, Mustern (Fühlen, Denken, Handeln) Schutzstile

• Überblick auf die eigene Geschichte

• Zusammenhänge zwischen aktuellem Erleben und Verhalten mit Erfahrungen und Themen aus dem Herkunftsszenario verstehen

• Verständnis für die eigenen Eltern, Grosseltern und Geschwister entwickeln und deren Verhalten auch im Rahmen ihrer eigenen Prägung und soziokulturellen Kontextes begreifen. Eltern und andere Bezugspersonen in deren Gewordensein, Stärken und Begrenzungen annehmen.

• Unausgedrückte Gefühle und Impulse aus der eigenen Lebensgeschichte wahrnehmen und ausdrücken (Liebe, Schmerz, Trauer, Wut, Angst, Scham)

Ist die Therapeutin bei der Szenarioaufnahme präsent, im Kontakt mit sich und der Klientperson, offen, interessiert, mitfühlend und klar in ihrer Führung, trägt sie viel zu einem guten Boden für die zukünftige Zusammenarbeit bei. Sich zeigende Themen können benannt und gespiegelt werden.

Im Bereich des Unbewussten reagieren Menschen oft reflektorisch. Je mehr Bewusstheit wir entwickeln, desto grösser wird der Spielraum unserer Wahlmöglichkeiten, desto flexibler und weniger bestimmt durch die Prägungen unseres Herkunftsszenarios kann unser Verhalten werden.

Quellen:
Lydia Hantke & Hans-Joachim Görges, Handbuch Traumakompetenz, Basiswissen für Therapie, Beratung und Pädagogik, Junfermann Verlag Paderborn 2023, überarbeitete Auflage.

Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP (Integrative Body Psychotherapy), Eva Kaul & Markus Fischer. Hogrefe Verlag.